Masterstudiengang "Drug Regulatory Affairs"

Master-Thesis

"The Fair Minimum": Wie deutsche Arzneimittelproduktinformation geschlechtsneutral werden kann ***

Kay Pötzsch (Abschlußjahr: 2023)

Zusammenfassung
Sprache: Deutsch
Arzneimittelproduktinformationen (PI) sind weder in Deutschland noch auf übergreifender europäischer Ebene geschlechtsneutral formuliert. Neben einer Analyse des gegenwärtigen Standes von EU- und nationalem Recht und der Praxis des Quality Review of Documents in Deutsch und Englisch stellt diese Arbeit das damit verbundene Gefährdungspotential für die Gesundheit von inter*, nicht-binären, trans* und agender (INTA*) Personen sowie den Bedarf, die Möglichkeiten und daraus hervorgehend Vorschläge zur Verbesserung der Genderfairness in Produktinformationstexten auf Grundlage von erhobenen Daten aus Interviews und Onlinebefragungen bei betroffenen INTA*-Personen und Gesundheitsfachpersonal vor.
Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Menschen weltweit offen mit der Frage nach verschiedenen Geschlechtsidentitäten und dem korrekten Umgang damit. Besonders große Mühe mit der Umstellung des bisher genutzten binären Geschlechtssystems hat die Medizin, und damit einhergehend auch der Bereich der Regulatory Affairs.
Auf Basis eigener Erfahrungen und Beobachtungen sowie nach entsprechender Literaturrecherche wurden für diese Masterarbeit die folgenden Fragestellungen entwickelt:

  • Gibt es gesetzliche Grundlagen zur Genderfairness von Produktinformationstexten für Arzneimittel?
  • Wie genderfair sind aktuelle Produktinformationstexte in Deutschland und Europa?
  • Stellt das aktuelle Level an Genderfairness der Texte eine Gefahr für die Gesundheit von intergeschlechtlichen, nicht-binären, transgeschlechtlichen und agender (INTA*-) Personen dar?
  • Was muss sich auf gesetzlicher Ebene und in der regulatorischen Praxis ändern, um eventuell bestehende Gefahren zu senken?

Zur Beantwortung der ersten beiden Fragen und als Grundlage für die gesamte Arbeit werden historische, juristische und soziale Hintergründe vorgestellt, die die drei Kernelemente miteinander verknüpfen: Regulatory Affairs, Linguistik und Gender Studies.
Darauf aufbauend wurden sowohl Interviews mit Betroffenen (ausgehend von einem abgewandelten Readability Test für Valproat) als auch jeweils eine Onlineumfrage für Betroffene und Gesundheitsfachkräften durchgeführt und ausgewertet. Die so erhobenen Daten (qualitativ (Interviews) und quantitativ (Onlineumfrage)) werden entsprechend in Kontext zum aktuellen Forschungsstand gesetzt und ermöglichen die Beantwortung der beiden anderen Fragen.
Die gesetzlichen Grundlagen für Produktinformationen enthalten keine gesonderten Vorgaben für eine genderfaire Gestaltung und Sprache, und Genderfairness ist sowohl in europäischen als auch deutschen Produktinformationen dementsprechend mangelhaft ausgeprägt. Nach Auswertung der erhobenen Daten lässt sich feststellen, dass dieser Mangel gemeinsam mit anderen Faktoren eine ernstzunehmende Gefahr für die Gesundheit von INTA*-Personen darstellt. Durch nicht inklusive Sprache hervorgerufene Dysphorie führt bei Betroffenen häufig zu Vermeidung von konfrontierenden medizinischen Situationen. Anatomisch inkorrekt oder unvollständig formulierte Produktinformationen können sowohl bei Gesundheitsfachkräften als auch bei Behandelten zu potentiell gefährlichen Missverständnissen führen. Hier kann Abhilfe geschaffen werden, indem die Freiräume in den gesetzlichen Vorgaben entsprechend genutzt und Produktinformationen - wo möglich - auf genderfaire Formulierungen umgestellt werden. Die aktuelle Gesetzgebung sieht hierfür keine Verbote oder Behördenkontrolle vor, sodass die Zulassungsinhaber auf freiwilliger Basis ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und tätig werden müssen.
Um eine generelle Verbesserung der gesundheitlichen Situation für INTA*-Personen zu erzielen, ist jedoch die alleinige genderfaire Gestaltung von Produktinformationstexten nicht ausreichend. Die zusätzliche, schnellstmögliche Implementierung von genderfairer Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsfachkräften bildet den zweiten wichtigen Stützpfeiler für dieses Vorhaben.
Auf lange Sicht scheint eine Weiterentwicklung des generellen Sprachgebrauchs in der Medizin unvermeidlich. Genderfairness muss als Kommunikationswerkzeug begriffen werden, mit dessen Hilfe eine bessere Lebensqualität für alle Menschen geschaffen werden kann.
Seiten: 108
Annexes: 8, Seiten: 185